Abitur mit über 25? Mit Kindern? Nach Frust auf dem ersten Bildungsweg? All‘ das ist möglich. 44 erfolgreiche Absolvent*innen des Hannover Kollegs und Abendgymnasiums beweisen es.

Der Einsatz in den vergangenen Jahren hat sich gelohnt. Mit Stolz und Freude halten alle ihr Abitur-Zeugnis oder das Zeugnis der FH-Reife in den Händen. Es ist der Türöffner für eine berufliche Neuausrichtung oder die Universität. Gleichzeitig ist es der Beweis, wozu sie fähig sind. “Was wäre gewesen, wenn…,” diese Frage müssen sich die jetzt ehemaligen Kollegiat*innen und Abendgymnasiast*innen nicht mehr stellen. “Man weiß nie, was kommt. Die Möglichkeit, jetzt studieren zu können, ist ein gutes Gefühl”, betont Kristina. Dabei wechselt sie erst einmal nur die Berufsbranche.

Zweite Schulzeit mit neuem Blick

Der Blick auf Schule und Lernen hat sich bei den Absolvent*innen gewandelt. Kein Vergleich zur Schulmüdigkeit, Planlosigkeit oder dem allgemeinen Lernfrust am Ende des ersten Bildungswegs. Teilweise bauten sich damals auch persönliche oder gesundheitliche Probleme als Hürden auf. Warum sie sich nach einigen Jahren “Schulpause” für diesen Weg entschieden haben, das wussten fast alle genau. Mit Abstand zur ersten Schulzeit erschien Lernen in einem anderen Licht. “Als Erwachsener habe ich mehr Sinn darin gesehen mich weiterzubilden. Das spiegelt sich in der Arbeitsatmosphäre in der Schule und in der Motivation wider. Alle sind schließlich auf eigenen Wunsch hier”, erklärt Marcel, Abiturient des Abendgymnasiums.
Gerade die E-Phase habe die Möglichkeit für einen Ausbau des Allgemeinwissens und ganz neue Perspektiven geboten. “Was ich in den letzten drei Jahren gelernt habe, hat dazu beigetragen, die Welt, wie sie gerade ist, besser zu verstehen”, sagt Feline. Sie hat am Hannover Kolleg als einzige vom Vorkurs bis zum Abitur erfolgreich durchgehalten.

Eine besondere Lernatmosphäre

Die Absolvent*innen heben die persönliche Lernatmosphäre an den Gymnasien für Erwachsene hervor: Es gibt kleine Lerngruppen und einen guten Austausch mit den Lehrkräften. Weitere Unterstützung bieten Klassen-Paten, Schüler-Mentoren und das Lern-Coaching. Außerdem gingen die meisten Lehrkräfte darauf ein, wenn jemand durch die familiäre Situation oder Nebenjobs belastet sei. Man werde angesprochen, wenn es Probleme gebe.

Corona: harte Probe, positive Nachwirkungen

Während der Corona-Pandemie hat der Abi-Jahrgang 2022 über sieben Monate Schulschließung erlebt. Der Rückblick auf diese Zeit fällt überwiegend kritisch aus. Online-Lernen ersetze nach Ansicht der meisten nicht den persönlichen Austausch im Kurs. Das Lernen durch Zuhören und Mitdiskutieren fehlte. Geregelte Tagesstrukturen, feste Lernzeiten, aber auch das Gemeinschaftsgefühl blieben bei vielen auf der Strecke – trotz der Bemühungen vieler Lehrkräfte. Und doch entdecken einige im Nachhinein positive Aspekte: Digitale Arbeitsformen hielten Einzug in den Präsenzunterricht. Das Zettelchaos ließ sich zur Abitur-Vorbereitung mit Moodle besser ordnen. Und auch digitale Tafelbilder waren ideal für die Wiederholung.
Kein Abitur-Jahrgang habe mit mehr unterschiedlichen Unterrichtsszenarien umgehen müssen, betont Schulleiter Udo Menski. Damit hätten alle Absolvent*innen eine zentrale Kompetenz erworben, die gerade in Krisenzeiten unschätzbar wichtig sei: Mit Unwägbarkeiten und wechselnden Rahmenbedingungen umzugehen und auch in schwierigen Zeiten ein Vorhaben erfolgreich zu beenden.

Die Pandemie-Situation setzt somit Impulse über das Schulleben hinaus. Kristina betont: “Vielleicht haben wir durch Corona gelernt, uns in Akzeptanz zu üben, dass manche Dinge nicht in unserer Hand liegen und man dennoch probieren sollte, das Beste aus einer Situation zu machen.”

Sie wussten, wofür sie es tun

Rückblickend räumen die Absolvent*innen ein, das Schulpensum sei nicht zu unterschätzen. Ohne Lernbereitschaft, Disziplin und Durchhaltevermögen sei Erfolg schwer möglich. Zum Abschied nimmt der Jahrgang 2022 jetzt viel mehr mit als das Abi-Zeugnis oder die FH-Reife. Neue Freundschaften, neue Erfahrungen, neue Perspektiven zählen zum “individuellen Gepäck”. “Ich bin dankbar für die Schulzeit hier”, das antworten viele auf die Frage nach ihrem persönlichen Fazit. Und Julia vom Abendgymnasium macht allen Interessierten Mut: “Ich würde jedem raten, der es auf dem ersten Bildungsweg nicht geschafft hat, sich eine zweite Chance zu geben. Denn wenn man es dann geschafft hat, kann man richtig stolz auf sich sein.” Ihr Mitschüler Marcel ergänzt: “Zu wissen, wofür man es tut, macht es deutlich einfacher.”

(Scr, 1.7.2022)